„Alles voller Liebe“: Junge Menschen brennen für die Pflege
| Geschichten aus den Freiwilligendiensten, Geschichten aus der Ausbildung, Meldung
Diakonie-Wohngemeinschaften ebnen Freiwilligendienstleistenden und Azubis den Weg in Traumjob und Berufung
Die Diakonie Münster bietet Auszubildenden in der Pflege und Freiwilligendienstleistenden finanziell geförderten Wohnraum. Die jungen Menschen, die aus Deutschland und vornehmlich aus dem Ausland kommen, gewinnen in den Wohngemeinschaften in der Innenstadt, in Gievenbeck, Rumphorst und Hiltrup ein neues Zuhause auf Zeit. Alter und Herkunft unterscheiden sie, doch eines verbindet sie alle: Ihr Herz brennt für die Pflege.
„Mir macht Pflege sehr viel Spaß. Gesellschaftlich ist die Pflege häufig anders konnotiert“, sagt Tim Glindemann. „Ich fühle mich immer lebendig, wenn ich einer Bewohnerin oder einem Bewohner helfen kann.“ Der junge Mann ist nach dem Abitur im Jahr 2021 von Schleswig-Holstein nach Münster gekommen, um seinen Bundesfreiwilligendienst im Seniorenzentrum Martin-Luther-Haus zu leisten. Zuvor hatte er noch nie ein Altenheim betreten. Inzwischen hat er sein Jura-Studium in Münster begonnen. Der Pflege ist er trotzdem treu geblieben. Zweimal im Monat arbeitet er im Nebenjob samstags und sonntags jeweils eine Früh- oder Spätschicht im Seniorenzentrum der Diakonie an der Fliednerstraße. Eingesetzt ist er weiterhin – wie während seiner Zeit als BFD-ler – auf der Station AE, dem sogenannten beschützten Bereich für Menschen mit Demenz und Verhaltensauffälligkeiten, die besonderen Schutz und Betreuung bedürfen.
Bundesweit hatte er nach seinem Schulabschluss nach einer passenden Einsatzstelle im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes gesucht. Ausschlaggebend dafür, dass seine Wahl auf die Diakonie Münster fiel, war auch die Aussicht auf eine Wohnmöglichkeit. „Das ist heute nicht mehr üblich“, meint Glindemann. Seit Arbeitsantritt bewohnt er mit sieben weiteren in der Pflege tätigen jungen Menschen ein schönes Haus mit großem Garten in der Innenstadt. Seine Mitbewohnerinnen und -bewohner kommen aus Ghana, Marokko, Ecuador, Argentinien und Indien. Das weitet den Blick auch für andere Kulturen. Jede und jeder genießt seine Privatsphäre, aber manchmal tauschen sich die jungen Leute über Erfahrungen aus der Heimat aus oder essen gemeinsam – zum Beispiel Fufu, den feinen afrikanischen Kartoffelbrei. Von Zeit zu Zeit gibt es auch geplante Events, die gemeinsam mit dem Integrationsbeauftragten der Diakonie Münster initiiert werden.
Neben Studium und der Stelle als Wochenendaushilfe bleibt nicht viel freie Zeit. Was treibt ihn an? „Ich glaube, dass ich viele wichtige Erfahrungen durch die Pflege sammeln kann“, meint Glindemann. Zu Beginn seines Freiwilligendienstes habe er noch viele Berührungsängste gehabt. Da war es gut, dass er zunächst nur in der Hauswirtschaft und der sozialen Betreuung eingesetzt war. Vorbehalte und Ängste habe er aber schnell abgebaut, da ihm immer freigestellt wurde, welche Aufgaben er übernehmen wollte, je nachdem was er sich selbst zutraute. Hinzukamen das gute Arbeitsklima und mit Kira Bianga eine Chefin, die immer ein offenes Ohr für seine Fragen habe genauso wie die anderen Teammitglieder. „Deswegen habe ich mich immer superwohl gefühlt“, sagt der angehende Jurist. Wenn er seinen Kommilitonen von seinem Nebenjob erzählt, heißt es oft: „Das könnte ich nicht.“ Ohne die positiven Erfahrungen im Martin-Luther-Haus hätte der Student das selbst auch gesagt. Aber mit Mut zur Sache kriege man das schon hin, meint er jetzt. Von seinen Eltern habe er immer Unterstützung im Hinblick auf das BFD-Jahr und den Nebenjob in der Pflege erfahren. Gerade durch den Beruf der Mutter, die Ärztin ist, habe er erste Anknüpfungspunkte an das Thema ‚Pflege‘ bekommen.
Wege in den Pflegeberuf sind unterschiedlich
Dass die Wege in die Pflege sehr unterschiedlich sein können, weiß auch Felix Friberg. Er ist Ausbildungskoordinator und Integrationsbeauftragter bei der Diakonie Münster. In kaum einem anderen Bereich gebe es jedoch so sichere Berufsperspektiven wie in der Pflege, treffe man auf ein derart breit gefächertes Angebot, sagt Friberg. „Allein bei der Diakonie haben wir Wohngemeinschaften für ältere Menschen mit und ohne Demenz, die Tagespflege, ambulante und stationäre Angebote.“ Gerade mit Blick auf diejenigen, die aus dem Ausland kommen, um in der Pflege zu arbeiten, ist die Aussicht auf eine Wohnmöglichkeit häufig eine Voraussetzung, ebenso die Unterstützung durch den Integrationsbeauftragten, der das Ankommen in Deutschland erleichtert und hilft, Schwierigkeiten zu meistern, wenn fehlende Sprachkenntnisse und eine überbordende Bürokratie aufeinandertreffen. Er hat auch einem Blick auf die Wohnsituation in den Wohngemeinschaften sowie die Räumlichkeiten und steht den Bewohnerinnen und Bewohnern als Ansprechpartner zur Verfügung, auch wenn diese für die organisatorischen Belange des WG-Lebens eigenverantwortlich sind. Stolz präsentiert Robert Morfia den elektronischen Putzplan, den er regelmäßig an die WG-Mitglieder schickt. Außerdem erzählt er von der What’s App-Gruppe, mit der sich die WG-ler austauschen, wenn sie sich wegen Früh- und Spätschichten oder Wochenenddiensten nicht sehen. Wer ein Problem habe, bekomme sofort eine Rückmeldung. 2017 ist der 32-Jährige aus Ghana nach Deutschland gekommen.
Morfia hat zunächst am Bochumer Studienkolleg seinen Abschluss absolviert. In der Coronazeit sei ihm bewusstgeworden, dass viele Leute in der Pflege gebraucht würden. „Der Pflegeberuf hat Zukunft“, sagt er. Deswegen habe er sich für die neue generalistische Ausbildung zum Pflegefachmann und gegen ein Studium entschieden. Maßgeblich war auch ein zweiwöchiges Praktikum, das er zuvor im Martin-Luther-Haus absolviert hatte. Im Internet und den sozialen Medien war er auf die Diakonie Münster aufmerksam geworden und hatte sich kurzerhand beworben. Dann ging alles ganz schnell. „Ich bekam sofort eine Antwort“, meint Morfia. Überhaupt sei die Diakonie Münster eine sehr gute Arbeitgeberin, denn sie unterstütze ihre Mitarbeitenden bei deren Problemen. Morfia war in den ersten Monaten seiner Ausbildung noch von Burgsteinfurt nach Münster gependelt, war auch an Sonn- und Feiertagen auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Die Dankbarkeit für den erschwinglichen und zentral gelegenen Wohnraum in der Münsteraner Innenstadt steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Auch im Hinblick auf die Arbeit in der Pflege spielt Dankbarkeit eine große Rolle für ihn. „Wenn man den Pflegebedürftigen hilft, bekomme man viel Dank zurück. „Wir werden auch irgendwann darauf angewiesen sein, dass wir Hilfe bekommen“, meint Morfia. In Ghana sei es üblich, dass die Menschen Zuhause von ihren Familien gepflegt würden. Die Kultur unterscheide sich insgesamt deutlich. Trotzdem fühle er sich in Deutschland sehr wohl, gerade mit Blick auf das Gesundheitssystem und die Bildungsmöglichkeiten, sagt der junge Mann, der gut Deutsch spricht und für sich eine klare Zukunftsperspektive in der Pflege in Deutschland sieht.
Hochmotivierte junge Menschen kommen aus allen Teilen der Welt
Die jungen Menschen, die aus aller Welt nach Münster kommen, um in der Pflege zu arbeiten, sind hochmotiviert. Es komme immer wieder vor, dass jemand in der Heimat studiert habe – Medizin beispielsweise, berichtet Glindemann aus Gesprächen mit anderen WG-Mitgliedern. Viele von ihnen bereiten sich gezielt auf ihre neue Wahlheimat vor. Genauso wie Morfia hat Anisha Shenny, die im Herbst 2022 aus Indien nach Deutschland gekommen ist und ihren Bundesfreiwilligendienst auch auf der Station AE im Martin-Luther-Haus macht, in ihrem Heimatland ein Sprachzertifikat am dortigen Goethe-Institut erworben. Shenny wohnt unweit von Glindemann und Morfia in einer weiteren Wohngemeinschaft der Diakonie Münster. „Eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung gestellt zu bekommen, war für mich die Voraussetzung“, sagt Shenny. Sie möchte auch in Zukunft in der Pflege tätig sein, nach dem Bundesfreiwilligendienst ihre Ausbildung anschließen. „Ich mag Pflege! Ich mag die älteren Menschen. Sie sind sehr nett. Ich verbringe gerne Zeit mit ihnen“, so Shenny. Manchmal seien Bewohnerinnen und Bewohner des beschützten Bereichs aggressiv. „Wir müssen verstehen, dass das an ihrer Demenz liegt. Auf der anderen Seite sind sie sehr lieb“, beschreibt Shenny das Leben auf der Station AE.
Alle Mitarbeitenden auf der Station würden ihr viel erklären und sie unterstützen. „Alles ist voller Liebe hier! Wir machen das für die Menschen“, bringt Shenny es auf den Punkt. Wenn man Glindemann, Morfia und Shenny zuhört, gewinnt man einen Eindruck davon, wie sinnstiftend die Tätigkeit in der Pflege ist. Dann hat sie nichts mit dem negativen Image gemein, dass der Pflege nicht selten gesellschaftlich und medial zugeschrieben wird. Dann ist es gut, wenn finanziell geförderter Wohnraum dazu beiträgt, dass junge Menschen den Weg in die Pflege finden und darin vielleicht sogar ihren Traumjob bzw. ihre Berufung entdecken. Es wäre hilfreich und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sogar geboten, dass die politischen Entscheidungsträger dieses Potenzial stärker in den Fokus nehmen und Rahmenbedingungen schaffen, die den Zugang ausländischer Kräfte niederschwelliger gestalten und insgesamt bessere Arbeitsbedingungen begünstigen würden, sodass junge Menschen auch dauerhaft gerne in der Pflege arbeiten.