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Weihnachten in der Pandemie: Stresstest für die Liebe

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Das Interview führte Sabine Damaschke von der Diakonie RWL.

Was schenken, essen und wen einladen? Vor Weihnachten gibt es viel zu klären. Und jetzt kommt auch noch die “Impffrage” dazu. Bei so manchen Paaren knirscht es deshalb heftig. Wird Weihnachten zum Stresstest für die ohnehin arg strapazierte Liebe in der Coronazeit? Wir haben die Paarberaterin Anke Brüggemann und ihren Kollegen Thomas Spiegelhauer von der Diakonie Münster gefragt.

Ist das Weihnachtsfest für Paare in diesem zweiten Coronajahr eine besondere Herausforderung?

Anke Brüggemann: Weihnachten ist immer schon eine Herausforderung gewesen, vor allem für Patchwork-Familien. Da stehen viele verschiedene Erwartungen im Raum, die meist von Traditionen in den Herkunftsfamilien geprägt sind. Und die können eine Menge Konfliktstoff bergen: Wer was schenkt, was gekocht wird, wer wann eingeladen wird. Bei mir haben sich mehrere Paare gemeldet, die vor diesem Weihnachtsfest eine Beratung wollten, weil sie sich sorgen, dass starke Konflikte aufbrechen könnten.

Thomas Spiegelhauer: Ein Thema, das in diesem Jahr zusätzlich stresst, ist die Frage, wie man mit Familienmitgliedern umgehen soll, die nicht geimpft sind. Kinder, die noch keine Impfung erhalten haben, könnten die Großeltern anstecken. Dann gibt es vielleicht Verwandte, die sich bewusst nicht impfen lassen wollen, die man nicht ausgrenzen will, aber auch nicht zu Besuch haben möchte. Wie kommuniziert man das, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen? Es muss also noch mehr als sonst vor dem Weihnachtsfest geklärt werden, was zu Konflikten führen kann.

Worin liegen die Schwierigkeiten, das vernünftig zu besprechen?

Anke Brüggemann: Weihnachten birgt eine Menge Enttäuschungspotenzial. Deshalb trauen sich viele Familien nicht, offen zu reden und eine eigene Position einzunehmen. Zum Beispiel, weil die Tante schnell beleidigt ist, wenn man sie zur Familienfeier nicht einlädt oder weil man die Großeltern nicht vor den Kopf stoßen möchte, die das Haus mitfinanziert haben. Wir raten den Paaren, erst einmal danach zu schauen, was sie brauchen, um sich als Kleinfamilie gut und sicher zu fühlen. Und dann Kompromisse zu finden und Rituale zu verändern, denn Weihnachten unter Pandemiebedingungen ist nun mal anders als sonst. Wer nicht geimpfte Verwandte zum Fest sehen möchte, kann sich mit ihnen auch zum Spaziergang treffen oder – sofern ein Garten vorhanden ist – dort an einem kleinen Lagerfeuer feiern. Wichtig ist nur, sich vorher klar zu machen, was man möchte, was geht und das zu kommunizieren.

Thomas Spiegelhauer: Übrigens hat das letzte Weihnachtsfest mit Lockdown den Familien “sozialverträgliche Absagebegründungen” ermöglicht. Warum nicht in diesem Jahr darauf zurückgreifen? Viele Paare haben es genossen, in Ruhe feiern zu können, ohne für Weihnachtsbesuche hin und her fahren zu müssen. Plötzlich war auch Zeit für Zweisamkeit da, die im gut durchorganisierten Alltag ja oft fehlt.

Für manche Paare fühlt sich die Pandemie aber auch wie “zu lange Weihnachtsferien” an. Durch Homeoffice und Kontaktbeschränkungen leben sie räumlich und zeitlich viel enger zusammen. Das kann stressen.

Anke Brüggemann: Ja, das sehe ich besonders bei Paaren mit kleinen Kindern. Sie hat diese Pandemie hart getroffen. Wir haben einige junge Familien in der Beratung, die zu uns kommen, weil sie Angst haben, sich in all dem Stress mit Homeoffice und Kinderbetreuung – oft auf engstem Raum – als Paar zu verlieren. Es muss mehr ausgehandelt werden als sonst, weil die Paare ihren Alltag mit den Kindern selbst gestalten. Die Verteilung der Care-Arbeit ist ein großes Thema, aber auch die Frage, wie jeder sich noch einen eigenen Freiraum schaffen kann. Dabei kommt dann die Zweisamkeit häufig zu kurz. Doch es ist enorm wichtig, dass Paare sich diese Zeit bewusst nehmen und gestalten – sei es, dass sie zusammen spazieren gehen, kochen oder spielen.

Thomas Spiegelhauer: Wie Paare diese Pandemie bewältigen, hat entscheidend mit ihren Ressourcen zu tun. Corona wirkt hier wie ein Brennglas. Wem es schwerfällt, eigene Bedürfnisse zu formulieren und zu leben, offen und wertschätzend mit dem Partner zu reden und Konflikte auszutragen, der hat es in der Pandemie schwerer. Es fehlt die Alltagsstruktur und die Ablenkung. Paare sind stärker aufeinander angewiesen und bezogen. Das kann aber auch eine Chance für die Liebe sein. Ich erlebe Paare, die haben neue Rituale entdeckt und die Rollenverteilung neu gelebt.

Was können Paare tun, damit die Liebe in solchen Krisenzeiten wie jetzt nicht verloren geht?

Thomas Spiegelhauer: Auch wenn es anstrengend und fordernd ist: Das “Aushandeln” von Autonomie- und Bindungswünschen gehört dazu. Paare sollten sich Zeit für Gespräche nehmen, in denen sie ihre Bedürfnisse und Positionen klären, auch wenn es darüber mal Streit gibt. Freiraum, also Zeit für sich selbst, ist ebenso wichtig wie gemeinsam gestaltete Zeit. Auch Rituale halten eine Beziehung lebendig, zum Beispiel sich bewusst zu begrüßen, regelmäßig zu bedanken beim Partner, zusammen zu essen oder spazieren zu gehen – also etwas zu unternehmen, mit dem sich beide wohlfühlen.

Anke Brüggemann: Wichtig finde ich es auch, dass Paare sich im Alltag verabreden, um gemeinsam Zeit zu verbringen. Sie sollte bewusst gestaltet werden, damit man nicht einfach zusammen “abhängt” und letztlich jeder für sich bleibt. Das ist gerade in der Pandemie wichtig, in der wir alle so viel zuhause sind. Es genügt ja oft ein Blick aufs Handy oder in den Keller, in dem die Wäsche noch hängt, um ins Hamsterrad der Hausarbeit zu geraten.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

 

Die Therapeuten Anke Brüggemann und Thomas Spiegelhauer bieten seit 12 Jahren Paarberatungen bei der Diakonie Münster an. In der Beratungsstelle zu Ehe, Partnerschaft und Lebensfragen begleiten Sie gemeinsam mit ihrem Team jährlich etwa 200 Paare. Link auf das Beratungsangebot: https://diakonie-muenster.de/angebote/ehe-paar-und-lebensberatung/

 

Fünf Tipps für ein entspanntes Weihnachtsfest:

  1. Klären Sie vorher, wie Sie die Weihnachtstage verbringen wollen. Sie sind “Gestalter des Festes”!
  2. Gestalten Sie die Weihnachtstage anstatt nur zu essen und “abzuhängen”, z.B. mit Spaziergängen, Spielen, Filmen. Und erlauben Sie sich “kleine Auszeiten” von der Familie, aber sprechen Sie das ab.
  3. Tragen Sie Konflikte nicht unterm Weihnachtsbaum aus. Nehmen Sie sich lieber vor, diese später in neutraler Atmosphäre und in Ruhe anzusprechen.
  4. Kommen Sie in Bewegung an der frischen Luft. Gehen Sie auch bei schlechtem Wetter raus, denn das entspannt Körper und Seele.
  5. Nehmen Sie sich Zeit für einen Rück- und Ausblick: Teilen Sie drei schöne Erinnerungen aus dem Jahr 2021 und reden Sie über drei Dinge, die Sie im Jahr 2022 gemeinsam erleben möchten.